Rand-ABC-fiche, Documentatiecentrum Vlaamse Rand, 2013
Einführung
Die Funktion des beigeordneten Gouverneurs gibt es nur in der Provinz Flämisch-Brabant und ist ein typisches Ergebnis der gemeinschaftlichen Pazifikationsprozesse, die Belgien kennzeichnen. Die Funktion wurde als Teil eines umfassenderen Kompromisses geschaffen, um die eventuelle Auswirkung und Folgen der Teilung der Provinz Brabant für die französischsprachigen Bewohner im flämischen Rand rund um Brüssel abzumildern. Gemeinsam mit anderen Einrichtungen wie der Ständigen Kommission für Sprachenkontrolle und dem Vizegouverneur der Region Brüssel-Hauptstadt soll der beigeordnete Gouverneur dazu beitragen, über den Sprachfrieden zu wachen.
Der beigeordnete Gouverneur der Provinz Flämisch-Brabant ist mit der Kontrolle der Anwendung der Gesetze und Verordnungen über den Gebrauch der Sprachen in Verwaltungsangelegenheiten und Unterrichtswesen in den sechs Randgemeinden mit einer besonderen Sprachenregelung betraut, nämlich Drogenbos, Kraainem, Linkebeek, Sint-Genesius-Rode, Wemmel und Wezembeek-Oppem.1 Obgleich es anderswo andere Gemeinden gibt, in denen die Einwohner Spracherleichterungen genießen, kommt die außergewöhnliche Situation nur in den sechs Randgemeinden van Brüssel zum Tragen.
Ursprung des Amtes
Bei der Aufteilung der Provinz Brabant in Flämisch- und Wallonisch-Brabant und Brüssel im Rahmen des Sankt-Michaels-Abkommens (1992), umgesetzt ab 1. Januar 1995, wurde das Territorialitätsprinzip strukturell weitergeführt. Um dem Wunsch der Französischsprachigen entgegenzukommen, auf niederländischem Sprachgebiet weiter über eine Instanz zu verfügen, die die Sprachenkontrolle ausübt und die Anwendung der Sprachengesetzgebung kontrolliert, wurde 1995 analog zum Vizegouverneur der zweisprachigen Region Brüssel-Hauptstadt die Funktion des beigeordneten Gouverneurs von Flämisch-Brabant ins Leben gerufen. In der früheren Provinz Brabant hatte der Vizegouverneur die Aufgabe, die Einhaltung der Sprachengesetze in der gesamten Provinz zu beaufsichtigen. Gleichzeitig mit der Teilung der Provinz wurde demzufolge auch diese Funktion zweigeteilt: Für die Region Brüssel-Hauptstadt blieb ein Vizegouverneur aktiv und die sechs Randgemeinden erhielten den beigeordneten Gouverneur, um ihre Beschwerden in Sprachdingen zu bearbeiten.
Parallelen zum Vizegouverneur der Region Brüssel-Hauptstadt
In Diskussionen über die Legitimität der Funktion des beigeordneten Gouverneurs wurde immer auf die Parallelität zum Vizegouverneur der Region Brüssel-Hauptstadt verwiesen. Als Gegenstück zum Vizegouverneur der Region Brüssel-Hauptstadt führt der beigeordnete Gouverneur mit einer Ausnahme auch genau dieselben Tätigkeiten aus: Nur der Brüsseler Vizegouverneur ist befugt, den Brüsseler Gouverneur während seiner Abwesenheit zu vertreten. Seit dem Lambermont-Abkommen ist die flämische Regierung befugt, den beigeordneten Gouverneur zu ernennen und abzuberufen. Der beigeordnete Gouverneur ist somit ein flämischer Beamter und wird nach übereinstimmender Stellungnahme des föderalen Ministerrats ernannt. Der Unterschied zum Vizegouverneur äußert sich in den Bezeichnungen. Für Brüssel blieb der Titel 'Vizegouverneur' erhalten, aber auf Drängen der flämischen Verhandlungspartner fiel die Entscheidung für die Bezeichnung 'beigeordneter Gouverneur'.2 In den Gesetzestexten wurde anfangs sowohl die Bezeichnung 'beigeordneter Gouverneur' als auch 'Vizegouveneur' verwendet.3
Befugnisse: 'allgemeine und spezifische verwaltungstechnische Kontrolle'
Die Rolle des beigeordneten Gouverneurs ist eine doppelte.4 Da ist der Kontrollauftrag, der die spezifische verwaltungstechnische Kontrolle über die Gemeindebehörden in den sechs Randgemeinden beinhaltet.5 Die Bürgermeister dieser Gemeinden müssen ihm innerhalb von acht Tagen Abschriften derjenigen Beschlüsse zuschicken, die die Anwendung der Sprachgesetzgebung betreffen. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass nicht alle lokalen Verwaltungen diese Informationen konsequent liefern. Falls die Entscheidungen nicht im Einklang mit der Sprachengesetzgebung stehen, kann der beigeordnete Gouverneur sie aussetzen, wodurch die fragliche Entscheidung 40 Tage lang nicht umgesetzt werden kann. Die flämische Regierung und der Gouverneur der Provinz Flämisch-Brabant können Ihrerseits diese Aussetzung aufheben. Der zweite Teil des Aufgabenpakets ist die Untersuchung von Beschwerden über Verstöße gegen die Sprachengesetzgebung, die von Privatpersonen aus den sechs Randgemeinden eingereicht werden. Im Rahmen dieses Auftrags kann der beigeordnete Gouverneur eine Untersuchung in Gang setzten, zwischen Kläger und Behörden vermitteln, Feststellungen treffen und Empfehlungen abgeben oder die Beschwerde der Ständigen Kommission für Sprachenkontrolle (SKSK) zur Weiterbearbeitung vorlegen. Diese Aufgabe wird auch als die eines Sprach-Ombudsmannes beschrieben. Der beigeordnete Gouverneur verfügt zu diesem Zweck über ein eigenes Kabinett mit Personal.6 Diese Dienste werden im Provinzhaus in Leuven untergebracht, arbeiten aber völlig unabhängig von der Provinz. Die Kosten teilen sich die flämische Regierung und die Föderalregierung.
Von Anfang an steht die Funktion des beigeordneten Gouverneurs in der Diskussion. Sowohl bei der Opposition als auch bei den Mehrheitsparteien gab es Stimmen, die forderten, diese Funktion abzuschaffen.7 Die Aufgaben des beigeordneten Gouverneurs ähneln schließlich sehr stark denen des SKSK und obendrein wurde die laufend zurückgehende Anzahl der Beschwerden als Argument angeführt. In dem Maße, in dem die Rechtsprechung mehr Klarheit über bestimmte Ungenauigkeiten und Streitpunkte brachte, sank die Zahl der Beschwerden und demzufolge auch die Arbeitsbelastung des Dienstes. Im letzten Bericht meldete die beigeordnete Gouverneurin allerdings eine Zunahme des gesamten Arbeitsvolumens im Vergleich zum Zeitraum 2005–2007.8
Aus Anlass der Pensionierung des beigeordneten Gouverneurs Guy Desolre im Jahr 2005 wurden wieder Vorbehalte gegen das Amt laut, und auch als 2012 nach der Pensionierung des Brüsseler Vizegouverneurs Hugy Nys eine Lähmung entstand und nicht gleich ein niederländischsprachiger Nachfolger eingestellt wurde, wurde sein Fortbestand in Frage gestellt. Kritiker ziehen dabei auch haushaltstechnische Argument heran. Der beigeordnete Gouverneur wird nämlich bezüglich Status und Entlohnung mit dem Provinzgouverneur gleichgestellt, während sich die Aufgaben auf sechs Gemeinden beschränken. Demgegenüber wird behauptet, diese Funktion falle unter die Pazifizierungsanstrengungen des belgischen politischen Systems im Zusammenhang mit der Ruhe in den Gemeinschaften. Das föderale Regierungsabkommen von 2011 sieht übrigens vor, dass das Gouverneursamt der Region Brüssel-Hauptstadt abgeschafft wird, und dass eine Brüsseler Adhoc-Arbeitsgruppe prüfen wird, wie die Aufgaben des Vizegouverneurs gehandhabt werden.
Schlüsselzahlen: Anzahl Beschwerden seit 1995
Auf der Grundlage der Tätigkeitsberichte des beigeordneten Gouverneurs kann man sich ein Bild über Art und Anzahl der Beschwerden machen, die bisher eingereicht wurden. In den Tätigkeitsberichten bis 2004 wurden diese Informationen allerdings auf eine andere Weise gegeben. Damals wurde die Anzahl an Beschwerden genannt, während für den Zeitraum ab 2005 nur die Prozentsätze der bearbeiteten Fälle erwähnt werden. Die deutliche Spitze im Jahr 1998 hängt mit der Aufregung rund um den Peeters-Rundbrief zusammen9
Abbildung 1: Anzahl der eingereichten Beschwerden beim beigeordneten Gouverneur im Zeitraum 1995–2004
Ursprung der Beschwerden
Die meisten Beschwerden stammen von Einwohnern der sechs Randgemeinden, aber auch aus der Region Brüssel-Hauptstadt und anderen Gemeinden in Flämisch-Brabant. In jüngerer Zeit können auch Beschwerden per E-Mail geschickt werden. In diesem Fall wird der Ursprung nicht notiert.
Abbildung 2: Verhältnis zwischen niederländisch- und französischsprachigen Einreichern von Beschwerden, 1995–2011


Art der Beschwerden
Wie erwähnt, hat der beigeordnete Gouverneur mehrere Aufgaben. Der größte Teil seiner Tätigkeit betrifft die Kontrolle der lokalen Verwaltungen, wie sich in nachstehender Tabelle zeigt, die auf den Tätigkeitsberichten der derzeitigen beigeordneten Gouverneurin, Valérie Flohimont, beruht.
Tabelle 1: Verteilung der Fallakten nach Art des Auftrags (in Prozent)
| administratief toezicht | klachten | advies / informatie | vraag om tussenkomst | |
|---|---|---|---|---|
| 2005-2007 | 94 | 4 | 2 | |
| 2008-2009 | 94 | 1 | 4 | 1 |
| 2010-2011 | 88 | 4 | 7 | 1 |
Im Verhältnis zu früheren Zeiträumen wurden mehr Entscheidungen ausgesetzt. Im Zeitraum 2005–2007 geht es um 2 % der Entscheidungen. Das entspricht einer Vervierfachung im Vergleich zu vorherigen Zeiträumen. 2008–2009 waren es sogar 4 %. Die meisten Eingriffe und so gut wie alle Aussetzungsentscheidungen beziehen sich auf die Einstellung des Lehr- und Verwaltungspersonal in den französischsprachigen gemeindlichen Grundschulen.10
Ein anderer Unterschied zu ihrem Vorgänger ist, dass die heutige beigeordnete Gouverneurin sich in mehr Fällen unzuständig erklärt. Im Zeitraum von Februar 1995 bis September 2005 geschah das in nur 1 % der Fälle. Im Zeitraum 2005–2007 dagegen steigt diese Zahl auf 19 % und 2008-2009 sogar bis auf 25 % der Beschwerdefälle.11 Im Zeitraum 2010–2011 bleibt diese Zahl nahezu unverändert bei 24 %.12
Pazifikationspolitik
Der Gesetzgeber hatte die Absicht gehabt, Uneinigkeiten zwischen den Gemeinschaften soweit wie möglich durch die Sprachengesetzgebung, durch Anpassungen an die Staatsstrukturen, durch die Verlagerung der Diskussionen in Kommissionen und durch das Errichten von Instanzen zu lösen, die in der Lage sind, die Streitigkeiten zu kanalisieren, um die Tagesarbeit der Regierung nicht zu behindern. Die Gründung der Ständigen Kommission für Sprachkontrolle, der beigeordnete Gouverneur von Flämisch-Brabant und der Vizegouverneur der Region Brüssel-Hauptstadt müssen im Rahmen einer solchen Sprachkonfliktprävention durch die Regierung betrachtet werden. Weitere Forschungen könnten Aufschluss über die Auswirkung von Streitigkeiten zwischen den Gemeinschaften auf die Funktion dieser Instanzen geben. In welchem Maß die Undeutlichkeiten und strittigen Punkte in der Gesetzgebung und die dadurch entstandenen Interpretationsspielräume Anlass zu Beschwerden oder Bitten um Stellungnahmen gegeben haben, ist ebenfalls ein noch nicht bearbeitetes Forschungsfeld. Nehmen diese Beschwerden nach Urteilen der zuständigen Rechtsorgane ab? Ließ beispielsweise die Bestätigung der Rechtsgültigkeit des Peeters-Rundbriefs die Zahl der Beschwerdeeinreicher zurückgehen? Auch eine vergleichende Untersuchung der möglichen Korrelationen zwischen den eingehenden Fragen und Beschwerden bei diesen vermittelnden Instanzen würde mehr Licht auf ihre konfliktregulierende Wirkung werfen.
FUSSNOTEN
WEITERE INFORMATIONEN
- Clement Jan, D'Hondt Hans, Van Crombrugge Jan, Vanderveeren Christine, Het Sint-Michielsakkoord en zijn achtergronden, Maklu Uitgevers, 1993.
- Desolre Guy, De vijfde staatshervorming en haar administratieve gevolgen voor het ambt van Adjunct van de gouverneur, Leuven, Dienst van de Adjunct-gouverneur, december2001.
- Koppen Jimmy, Distelmans Bart, Janssens Rudi, Taalfaciliteiten in de Rand. Ontwikkelingslijnen, conflictgebieden en taalpraktijken, in Brusselse Thema's 9, VUBPRESS, 2002.
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